Der Kampf um die Beweiskraft

Wenn man im Deutschen davon spricht, dass etwas „evident“ sei, dann meint man in der Regel: Es ist offensichtlich, eindeutig, völlig klar. Demnach müsste „evidenzbasierte Medizin“ (EbM) bedeuten: Ist doch offensichtlich, wie Ärzte ihre Patienten behandeln müssen. Doch davon kann keine Rede sein.

Seit den 1990er-Jahren gilt die EbM international als Inbegriff guter ärztlicher Praxis. Was sich dahinter verbirgt, klingt eigentlich nach einer Selbstverständlichkeit: Ärzte sollen immer die Medikamente, Tests und Behandlungsmethoden auswählen, deren Nutzen und Risiken am besten belegt sind. Und zwar durch wissenschaftliche Studien, die eine möglichst hohe Beweiskraft – englisch: „level of evidence“ – haben.

In der Praxis bedeutet das zum Beispiel für einen Testhersteller: Wem die Fachwelt einen hohen Evidenzgrad attestiert, der hat bessere Marktchancen – und bessere Aussichten darauf, sich bei den Krankenkassen zu etablieren. Aber wer legt fest, welche Studien als beweiskräftig gelten und welche nicht? Und kann es in der Medizin überhaupt einen allgemeingültigen Maßstab geben?

Es gibt verschiedene Ansätze, den Evidenzgrad zu bestimmen, am bekanntesten ist die Rangliste des EbM-Pioniers David Sackett, die am Centre for Evidence-Based Medicine in Oxford entstand. Auf der untersten Stufe steht hier die bloße Expertenmeinung – auf der obersten Stufe die systematische Auswertung mehrerer hochwertiger Studien. Als besonders hochwertig gelten zum Beispiel prospektive, randomisierte Studien, bei denen Patienten zufällig in Gruppen eingeteilt und dann beobachtet werden – teilweise über mehrere Jahre. So lange wollen die Befürworter von Krebsgentests nicht warten: Sie fordern für ihre jungen Diagnoseverfahren jetzt schon einen hohen Evidenzgrad ein, aufgrund von Studien an archiviertem Tumormaterial.